Eine Gemeinde lebt von ihrem historischen Besitz (Aktualisiert durch 2. Nachtrag vom 17.10.2022, siehe unten)
Der wunderbare Blick vom Joseph-Moehlen-Platz (Amtmannei) auf die Hallenkirche St. Martinus könnte im wahrsten Sinne des Wortes zugemauert werden. Anstelle des kleinen Wohn- und Geschäftshauses Stiftsstraße 5 (links im Bild) soll hier ein Wohnkomplex mit Tiefgarage und 17 Wohneinheiten entstehen. Das ganze Grundstück - auch der hintere, jetzt noch unbebaute Teil - soll nahezu zugebaut werden.
Baukultur im historischen Ortskern erhalten
Doch in der Bevölkerung regt sich arger Widerstand, schließlich bilden die umstehenden historischen denkmalgeschützten Gebäude mit den wunderbaren Blickachsen zueinander einen einmaligen historischen Ortskern im Münsterland. Geprägt ist dieser von der Bauweise des berühmten westfälischen Baumeisters Johann Conrad Schlaun. Immer wieder setzte er in der als "Westfälische Sinfonie" bezeichneten Bauweise Materialien wie den Münsterländer Sandstein, rote Klinker und weiße, mehrfach unterteilte Fenster ein, das findet sich ebenfalls in den Kuriengebäuden im Nottulner Ortskern wieder. Bei dem derzeitigen Architektenentwurf des Wohnkomplexes sieht daher der Mobile Baukulturbeirat NRW einigen Überarbeitungsbedarf.
Blickachsen zwischen historischen Gebäuden erhalten
Wie auf den Bildern links deutlich wird, waren offensichtlich die früheren Baumeister und Bauherren bemüht, die Blickachse von der Amtmannei zur spätgotischen Hallenkirche St. Martinus freizuhalten. Diese sollte und muss auf jeden Fall auch bei dem geplanten Bauvorhaben eingehalten werden. Das bedeutet, falls der Architekt und der Bauherr tatsächlich an der hinteren Bebauung des Grundstückes festhalten und diese grundsätzlich zulässig sein sollte (?), dass dieses Gebäude um mindestens ein Vollgeschoss reduziert werden muss, was natürlich auch den dahinter liegenden kleineren Gebäuden in nordwestlicher Himmelsrichtung geschuldet ist. Auch der Dachneigungswinkel sollte wesentlich niedriger festgesetzt werden, um das gesamte Gebäude in der Höhe weiter zu begrenzen. Selbstverständlich gibt es weiteren Handlungsbedarf, zum Beispiel in der äußeren Gestaltung, schließlich würde der geplante Wohnkomplex fast direkt gegenüber der Aschebergschen Kurie sowie der Amtmannei liegen.
Passt ein massiver reiner Wohnkomplex überhaupt in den historischen Ortskern?
Grundsätzlich stellt sich aber die Frage, ob ein reiner Wohnkomplex mit 17 Wohnungen mitten in den historischen Ortskern passt und diesen belebt, sehr wahrscheinlich nicht, aber die Parkplatzprobleme auf dem Kastanienplatz werden beispielsweise zunehmen. Im Übrigen haben wir in den vergangenen Jahren im Ortskern einige Geschäfte durch Schließung endgültig verloren. Die Geschäftsräume wurden größtenteils zu Wohnungen umgebaut. Das waren zum Beispiel: Das Textilgeschäft Faltmann, das Haushaltswaren-Geschäft von Mutter Vieth, das kleine Kaufhaus Hagenstraße und das gegenüberliegende Textilgeschäft, das Lebensmittelgeschäft Hagenstraße sowie das Fotogeschäft am Hanhoff und jetzt auch noch der Bioladen Regio-Nette (Wahrscheinlich sind es mehr).
Erfreuliches
Erfreulich ist, dass sich in einem Teil des Textilgeschäftes Faltmann, das früher zum alten Kaufhaus Wübken gehörte, nach dem Rückbau im Jahre 2012 Anne Hülsken mit ihrem Blumengeschäft "Blickfang" niederließ. Ein weiteres Glück ist, dass in den kleinen Räumlichkeiten des früheren Schusters unsere ehemalige Buchhändlerin Kornelia Maschmann ihr Geschäft "Bunte Steine" kürzlich eröffnete. Nebenan hatte sich schon die Produzenten-Galerie "Bunte Götter" niedergelassen. Das Leben im Dorfkern ist dadurch tatsächlich "Bunter" geworden, danke!
Doch leider fanden und finden einige Geschäfte keinen Nachfolger. Das liegt sicherlich auch an den zu kleinen Geschäftsräumen, die nicht immer einen Vollerwerb sichern, von dem eine Familie einigermaßen gut leben kann.
Resümee
Wahrscheinlich wird sich in Zukunft bei weiteren Betrieben und älteren Gebäuden, die den Ortskern prägen, die Frage der Vereinbarkeit von dort neu geplanten Bauvorhaben mit dem historischen Ort wiederum stellen. Es wird nicht einfacher und gerade deshalb müssen wir alle ein Auge darauf haben, unser wertvolles historisches Nottuln zu bewahren und nicht den finanziellen Spekulationen von Investoren überlassen, denn eines gilt heute wie damals: "Eine Gemeinde lebt von ihrem historischen Besitz", wie unser ehemaliger Gemeindedirektor Joseph Moehlen zu sagen pflegte. Wie Recht er doch hatte und behielt. In unserem Bildband "Nottuln ..., ein starkes Stück Heimat" habe ich mir erlaubt "und ihrer intakten Natur" hinzuzufügen.
Wir dürfen gespannt sein, wie nun der Architekt des geplanten Wohnkomplexes reagiert. Als Nottulner und langjähriges Mitglied des Gemeinderates und Fraktionssprecher der Grünen sowie Mitglied im Ausschuss der Gemeinde für Planen und Bauen müsste er selbst an der Erhaltung des ursprünglichen historischen Dorfkerns und seiner Heimat Nottuln sehr interessiert sein. Der aktuelle Planungsentwurf lässt daran aber erhebliche Zweifel aufkommen. Hoffentlich ändert er seine Haltung, nimmt sich ein Beispiel an der Rücksichtnahme der bisherigen Baumeister und Bauherren der Häuser am Stiftsplatz 5 und erhält die ursprüngliche jetzige Blickachse mit dem freien Blick von der alten Amtmannei zur Stiftskirche St. Martinus (siehe Bild oben und unten links).
Haltung der Gemeindeverwaltung und des Gemeinderates
Letztendlich werden die Haltungen und die Reaktionen der Gemeindeverwaltung und der Gemeinderatsmitglieder gefragt sein, denen wahrscheinlich auch die Erhaltung des historischen Ortskerns mit seinen Blickachsen am Herzen liegt. Auch wenn das Bauamt beim Landrat Coesfeld für die Erteilung der Baugenehmigung zuständig ist, so hat doch die Gemeindeverwaltung ein gehöriges Wörtchen mitzusprechen, schließlich obliegt ihr die Planungshoheit für die Gemeinde Nottuln. Außerdem ist sie untere Denkmalschutzbehörde.
1. Nachtrag, Stand 22.08.2015
Auf Anfrage teilte der Bürgermeister Dr. Dietmar Thönnes unser Redaktion mit, dass die Planungs-Unterlagen der Fachabteilung im Rahmen der Sitzungsvorbereitung und im Rahmen des Bauantragsverfahrens zugegangen sind.
Im Übrigen haben wir den Link auf diesen Artikel den politischen Parteien in Nottuln mit der Bitte um Weiterleitung an die Ratsmitglieder ihrer Fraktion übersandt. Außerdem wurde dieser Link auch an dem Mobilen Baukulturbeirat NRW und an den LWL (Denkmalpflege) weitergeleitet.
2. Nachtrag, Stand 17.10.2022
Erstellen eines Bebauungsplanes und ggf. Erwirkung einer Veränderungssperre
Um den historischen Ortskern und das Schlaunsche Erbe auf Dauer zu retten, wäre es auch mit Rücksichtnahme auf weitere Bauvorhaben im Ortskern sicherlich sinnvoll, einen Bebauungsplan mit entsprechenden Festsetzungen aufzustellen. Bis zur Zustimmung des Gemeinderates, Verabschiedung und Inkrafttreten dieses Bebauungsplanes besteht gemäß § 17 Baugesetzbuch die Möglichkeit eine Veränderungssperre zu erwirken. Diese gilt erst einmal zwei Jahre und kann unter gewissen Umständen um ein Jahr verlängert werden (näheres siehe folgenden Gesetzestext).
Baugesetzbuch (BauGB) § 17 Geltungsdauer der Veränderungssperre
1) Die Veränderungssperre tritt nach Ablauf von zwei Jahren außer Kraft. Auf die Zweijahresfrist ist der seit der Zustellung der ersten Zurückstellung eines Baugesuchs nach § 15 Absatz 1 abgelaufene Zeitraum anzurechnen. Die Gemeinde kann die Frist um ein Jahr verlängern.
2) Wenn besondere Umstände es erfordern, kann die Gemeinde die Frist bis zu einem weiteren Jahr nochmals verlängern.
3) Die Gemeinde kann eine außer Kraft getretene Veränderungssperre ganz oder teilweise erneut beschließen, wenn die Voraussetzungen für ihren Erlass fortbestehen.
4) Die Veränderungssperre ist vor Fristablauf ganz oder teilweise außer Kraft zu setzen, sobald die Voraussetzungen für ihren Erlass weggefallen sind.
5) Die Veränderungssperre tritt in jedem Fall außer Kraft, sobald und soweit die Bauleitplanung rechtsverbindlich abgeschlossen ist.
6) Mit der förmlichen Festlegung des Sanierungsgebiets oder des städtebaulichen Entwicklungsbereichs tritt eine bestehende Veränderungssperre nach § 14 außer Kraft. Dies gilt nicht, wenn in der Sanierungssatzung die Genehmigungspflicht nach § 144 Absatz 1 ausgeschlossen ist.